Der Elektroautohersteller Rivian, der Millionen an öffentlichen Steuervergünstigungen erhalten hat, gibt die genaue Anzahl seiner Mitarbeiter im Werk in Normal, Illinois, nicht mehr bekannt. Diese plötzliche Änderung der langjährigen Praxis wirft Fragen auf, zumal Hinweise auf einen deutlichen Rückgang der Belegschaft hindeuten.
Die Entscheidung des Unternehmens, die lokalen Beschäftigungsdaten nicht mehr zu veröffentlichen, erschwert es lokalen Behörden und Unternehmen, die wirtschaftliche Entwicklung der Region zu planen. Bisher galt Rivian als zweitgrößter Arbeitgeber im McLean County.
Wichtige Erkenntnisse
- Rivian hat die Veröffentlichung der Mitarbeiterzahlen für sein Werk in Normal eingestellt.
- Das Unternehmen erhielt zuvor erhebliche Steuererleichterungen, die an die Schaffung von Arbeitsplätzen gekoppelt waren.
- Daten deuten darauf hin, dass die Belegschaft deutlich unter der zuvor gemeldeten Zahl von 8.000 liegt.
- Experten und lokale Vertreter äußern Bedenken hinsichtlich der mangelnden Transparenz und deren Auswirkungen auf die Gemeinschaft.
Ein Wandel in der Kommunikation
Bis vor kurzem informierte Rivian die Öffentlichkeit regelmäßig über das Wachstum seiner Belegschaft in Normal. Die Zahl stieg von nur 350 Mitarbeitern im Jahr 2020 auf rund 8.000 im Jahr 2023, was den lokalen Wohnungsmarkt erheblich unter Druck setzte. Nun hat sich die Politik des Unternehmens geändert.
Auf Anfrage bestätigte ein Sprecher von Rivian, dass das Unternehmen keine standortspezifischen Mitarbeiterzahlen mehr bereitstellen werde. Gleichzeitig wurde eingeräumt, dass die zuvor genannte Zahl von 8.000 nicht mehr aktuell sei. Eine Begründung für diese Kehrtwende wurde nicht geliefert.
Hintergrund: Öffentliche Förderungen
Rivian hat von erheblichen öffentlichen Mitteln profitiert. Ein lokales Abkommen über Grundsteuererleichterungen, das an die Schaffung von Arbeitsplätzen gebunden war, brachte dem Unternehmen über fünf Jahre rund 3 Millionen US-Dollar ein. Dieses Abkommen ist inzwischen ausgelaufen. Ein neues, weitaus größeres Förderpaket des Bundesstaates Illinois sichert Rivian über die nächsten 30 Jahre Steuergutschriften in Höhe von bis zu 827 Millionen US-Dollar zu. Dafür muss das Unternehmen bis 2029 mindestens 559 neue Arbeitsplätze schaffen und 6.000 bestehende erhalten.
Die Bedeutung der Zahlen für die Gemeinschaft
Die genaue Kenntnis der Mitarbeiterzahlen eines so großen Arbeitgebers ist für die regionale Planung von entscheidender Bedeutung. Schulbezirke, Stadtplaner, Einzelhändler und soziale Dienste sind auf diese Daten angewiesen, um ihre Angebote an die Bedürfnisse der Bevölkerung anzupassen.
Patrick Hoban, CEO des Bloomington-Normal Economic Development Council, betonte die Wichtigkeit dieser Informationen. „Diese Zahlen sind nicht nur für den Arbeitsmarkt relevant, sondern auch für unsere Bildungseinrichtungen, die ihre Programme darauf ausrichten müssen“, erklärte er. „Auch Zulieferer und der lokale Handel orientieren sich an einem stabilen Beschäftigungswachstum.“
Unterschiede zu anderen Großunternehmen
Rivians neue Geheimhaltungspolitik steht im Gegensatz zum Vorgehen anderer großer Arbeitgeber in der Region. Unternehmen wie State Farm (13.000 Mitarbeiter), Carle Health (2.061) und OSF Healthcare (2.058) gaben auf Anfrage bereitwillig Auskunft über ihre aktuellen Mitarbeiterzahlen. Selbst traditionelle Automobilhersteller wie Ford und General Motors zeigen sich transparenter und veröffentlichen teilweise standortspezifische Daten.
Vergleich der Transparenz
- Rivian: Veröffentlicht nur noch eine weltweite Gesamtzahl (14.861 zum 31. Dezember 2024).
- Ford: Listet Mitarbeiterzahlen pro Werk auf seiner Website.
- GM: Stellt auf Anfrage Daten für einzelne Werke zur Verfügung.
- State Farm: Teilt lokale Beschäftigungszahlen mit (ca. 13.000).
Hinweise auf einen Personalabbau
Obwohl Rivian keine offiziellen Zahlen mehr nennt, deuten mehrere Quellen auf einen Rückgang der Belegschaft hin. Ein Steueranreizabkommen mit dem Bundesstaat Illinois vom 1. Mai 2025 listete 7.410 Mitarbeiter im gesamten Bundesstaat auf. Das sind 1.177 weniger als die 8.587 Mitarbeiter, die im Mai 2024 gemeldet wurden.
Weitere Daten des Illinois Department of Employment Security (IDES) untermauern diesen Trend. Die Zahl der Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe im McLean County sank von einem Höchststand von 11.090 zu Beginn des Jahres 2024 auf 8.130 zu Beginn des Jahres 2025 – ein Rückgang von 27 %. Da Rivian der mit Abstand größte industrielle Arbeitgeber ist, dürfte ein erheblicher Teil dieses Rückgangs auf das Unternehmen zurückzuführen sein.
„Wenn ein Unternehmen Steuergelder erhält, steigt die Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft. Jeder Bürger in dieser Gemeinde hat durch seine Steuern in dieses Unternehmen investiert.“
- Luke Capizzo, Assistenzprofessor an der Michigan State University
Mögliche Gründe für die mangelnde Transparenz
Experten spekulieren über die Motive hinter Rivians Schweigen. Eine Theorie besagt, dass sich das Werk in Normal in einer Phase des Umbruchs befindet. Die Vorbereitungen für die Produktion des neuen R2-Modells ab 2026 und der Bau eines zweiten Werks in Georgia könnten zu personellen Verschiebungen führen.
Nate Jensen, Professor an der University of Texas in Austin, vermutet wettbewerbliche Gründe. „Rivian hat bald zwei Produktionsstandorte, die beide um Arbeitsplätze konkurrieren“, so Jensen. „Das Unternehmen möchte möglicherweise nicht, dass seine Beschäftigungsmuster für alle sichtbar sind, insbesondere da es an beiden Standorten Fördergelder erhält.“
Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit
Die mangelnde Transparenz eines Unternehmens, das stark von öffentlichen Mitteln profitiert, stößt auf Kritik. Luke Capizzo, ein Experte für Öffentlichkeitsarbeit, erklärt, dass die Annahme von Steuergeldern die Verpflichtung zur Offenheit erhöht. „Das Zurückhalten solcher Informationen kann zu Reputationsschäden führen“, warnt er.
Für die lokale Gemeinschaft schafft die Unsicherheit Misstrauen. „Je weniger Informationen man preisgibt, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Leute glauben, es gäbe unlautere Gründe für diese Projekte“, fügt Professor Jensen hinzu. Die langfristige Beziehung zwischen einem Großunternehmen und seiner Heimatstadt basiert auf Vertrauen – ein Gut, das durch mangelnde Kommunikation leicht beschädigt werden kann.




