Tesla verfolgt eine ungewöhnliche Strategie im Automobilsektor: Statt regelmäßiger Neuentwicklungen setzt das Unternehmen auf inkrementelle Verbesserungen und Software-Updates. Diese Herangehensweise birgt Risiken, insbesondere angesichts des zunehmenden Wettbewerbs und der alternden Modellpalette.
Wichtige Erkenntnisse
- Tesla hat seit 2020 kein neues Massenmarktmodell mehr eingeführt.
- Fokus liegt auf Software-Updates und autonomen Funktionen statt Hardware-Neuerungen.
- Analysten warnen vor sinkender Kundentreue und Marktanteilsverlusten.
- Chinesische Hersteller verkürzen Entwicklungszyklen drastisch.
- Musk lenkt die Aufmerksamkeit auf humanoide Roboter und autonomes Fahren.
Alte Modelle im neuen Gewand
Seit der Einführung des Model Y im März 2020 hat Tesla kein völlig neues Massenmarktmodell mehr auf den Markt gebracht. Zwar gab es den Cybertruck, dessen Verkaufszahlen jedoch hinter den Erwartungen zurückblieben. Stattdessen konzentrierte sich das Unternehmen auf Aktualisierungen bestehender Modelle.
Das Model 3 und Model Y erhielten sogenannte „Refreshes“. Diese umfassten hauptsächlich Änderungen an der Beleuchtung vorne und hinten. Solche kosmetischen Anpassungen sind jedoch keine grundlegenden Neuentwicklungen, die den Markt revolutionieren könnten.
Im vergangenen Jahr kursierten Gerüchte über ein neues Tesla-Modell mit einem Startpreis von etwa 25.000 US-Dollar. Diese Pläne wurden jedoch Berichten zufolge von Elon Musk gestoppt. Stattdessen setzt Musk nun verstärkt auf autonome Fahrzeuge und humanoide Roboter als Zukunftsfelder des Unternehmens.
Faktencheck
- Letztes Massenmarktmodell: Model Y (März 2020).
- Gerüchte über 25.000-Dollar-Modell: Pläne wurden eingestellt.
- Model 3/Y Refresh: Hauptsächlich kosmetische Änderungen.
Risiken der Strategie
Branchenanalysten äußern Bedenken hinsichtlich Teslas Ansatz, neue Modelle zu vernachlässigen. Sie argumentieren, dass das Kernautomobilgeschäft des Unternehmens große Risiken birgt, wenn es nicht regelmäßig neue Modelle einführt.
Einige vergleichen Teslas Strategie mit der von Apple, das seine iPhones durch inkrementelle Verbesserungen und Software-Updates wettbewerbsfähig hält. Im Automobilbereich könnten jedoch die längeren Produktzyklen und die Erwartungen der Kunden an neue Hardware zu Problemen führen.
„Teslas offensichtliche Vernachlässigung des Kerngeschäfts birgt große Risiken für Investoren und wird testen, ob der US-Elektrofahrzeugpionier ohne regelmäßige Neueinführungen Wachstum aufrechterhalten kann.“
So zitiert Reuters mehrere Branchenanalysten. Diese Experten betonen, dass die Automobilindustrie einem „Gesetz der Schwerkraft“ unterliegt: Die Verkaufszahlen sinken, wenn Modelle älter werden. Diesem Trend kann sich auch Tesla nicht auf Dauer entziehen.
Sinkende Kundentreue
Tom Libby, ein Analyst bei S&P Global Mobility, weist auf einen Rückgang der Kundentreue bei Tesla im letzten Jahr hin. Die Treue verbesserte sich erst, nachdem Tesla seine Ausgaben für Produktanreize verdoppelte. Dies deutet darauf hin, dass Kunden zunehmend Anreize benötigen, um bei der Marke zu bleiben.
Libby betont: „Die Daten zeigen, dass Tesla wie jede andere Marke ist. Langfristig wird es größere Produktmaßnahmen geben müssen, sonst wird die Marke weiter abrutschen.“ Die kleine Modellpalette hält Tesla zudem aus wichtigen Marktsegmenten fern, etwa aus dem der siebensitzigen SUVs, die 13 Prozent der US-Neuwagenverkäufe ausmachen.
Hintergrund: Designzyklen in der Automobilbranche
Traditionell überarbeiten US-Autohersteller ihre Modelle etwa alle acht Jahre. Für günstigere Autos sind die Zyklen kürzer, für Luxusfahrzeuge und Lastwagen länger. Der globale Wettbewerb, insbesondere durch chinesische Hersteller, verkürzt diese Zyklen jedoch zunehmend.
Chinesischer Wettbewerb und verkürzte Zyklen
Während Tesla auf eine statische Modellpalette setzt, beschleunigt die Konkurrenz, insbesondere aus China, das Tempo der Neuentwicklungen erheblich. Chinesische Elektrofahrzeughersteller haben ihre Modellentwicklungszeiten auf zwei Jahre oder weniger reduziert.
Dan Hearsch von AlixPartners erklärt, dass dieser schnelle Rollout es chinesischen Autoherstellern ermöglicht, „mit Trends Schritt zu halten und mit dem, was Verbraucherprodukte tun“. Dies bedeutet halbierte Entwicklungszeiten und halbierte Fixkosten. BYD brachte beispielsweise zwischen 2020 und 2025 siebzehn neue SUV-Modelle auf den Markt, doppelt so viele wie Ford im gleichen Zeitraum.
Verlorener Vorsprung
Früher verkauften sich Tesla-Fahrzeuge praktisch von selbst. Das Unternehmen musste kaum Marketing betreiben. Man erinnert sich an die Bilder von Tausenden Menschen, die bei eisiger Kälte Schlange standen, um eine Reservierung für ein Model 3 vorzunehmen. Dieser Erfolg weckte die gesamte Branche auf und zeigte, dass eine Nachfrage nach Elektroautos existiert.
Dieser „First Mover Advantage“ scheint jedoch zunehmend verloren zu gehen. Die Wettbewerbssituation zwingt Tesla nun zu Maßnahmen, die es früher ablehnte, wie etwa Werbung zu schalten. Auch Subventionen für Leasingangebote und Preissenkungen sind notwendig geworden, um neue Kunden anzuziehen.
Wichtige Daten
- BYD: 17 neue SUV-Modelle (2020-2025).
- Ford: 8 neue Modelle im gleichen Zeitraum.
- Teslas Gewinn Q3: Rückgang um 37 % trotz Rekordumsätzen.
Fokus auf Autonomie und Roboter
Trotz der Herausforderungen im Kerngeschäft lenkt Elon Musk die Aufmerksamkeit auf zukünftige Projekte. Während der Telefonkonferenz zu den Ergebnissen des dritten Quartals sprach Musk ausführlich über seine Vision von hunderttausenden humanoiden Robotern. Diese Roboter sollen menschliche Arbeit in der Zukunft überflüssig machen.
Musk stellte sich eine Welt vor, in der es keine Armut gibt und jeder Zugang zur besten medizinischen Versorgung hat. Er sagte: „Optimus wird zum Beispiel ein unglaublicher Chirurg sein. Und stellen Sie sich vor, jeder hätte Zugang zu einem unglaublichen Chirurgen.“
Diese Aussagen stehen im Kontrast zu früheren Versprechen wie der Erhöhung der Tesla-Produktion um 50 Prozent pro Jahr oder der Behauptung, ein Tesla würde 2017 autonom von Los Angeles nach Manhattan fahren. Diese früheren Ziele scheinen in den Hintergrund gerückt zu sein, während der Fokus auf die Entwicklung von künstlicher Intelligenz und Robotik wächst.
Musks Vision
Musks Interesse an Robotik und künstlicher Intelligenz ist bekannt. Der humanoide Roboter Optimus ist ein Schlüsselprojekt für die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens, auch wenn seine praktischen Anwendungen und die Umsetzbarkeit in großem Maßstab noch nicht vollständig abzusehen sind.
Die Verlagerung des Schwerpunkts auf futuristische Technologien wie humanoide Roboter zeigt, dass Musks Interesse am Automobilbau möglicherweise nachgelassen hat. Dies könnte die Risiken für Teslas traditionelles Geschäft weiter erhöhen, da die Konkurrenz in der Elektrofahrzeugbranche immer stärker wird.
Die Automobilindustrie ist im Wandel. Ob Teslas unkonventionelle Strategie, sich von den klassischen Entwicklungszyklen abzuwenden und stattdessen auf Software und Roboter zu setzen, langfristig erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten.




