Die Führungsebene des chinesischen Elektroautoherstellers Nio reist nach Europa, um die stockende Expansion des Unternehmens neu auszurichten. Angesichts enttäuschender Verkaufszahlen und hohem Kostendruck stellt Nio seine Vertriebsstrategie um und setzt in neuen Märkten künftig auf lokale Händler statt auf teure Flagship-Stores.
Wichtige Erkenntnisse
- Die Nio-Gründer William Li und Lihong Qin besuchen Europa, um die Expansionspläne zu überarbeiten.
- Das Unternehmen wechselt in neuen europäischen Märkten von einem Direktvertriebsmodell zu einem Händlernetzwerk.
- Bestehende Märkte wie Deutschland, Norwegen, die Niederlande und Schweden behalten das Direktvertriebsmodell bei.
- Die Verkaufszahlen in Norwegen, dem ersten europäischen Markt von Nio, bleiben weit hinter den Zielen zurück.
Strategiewechsel unter Druck
Die Gründer von Nio, CEO William Li und Präsident Lihong Qin, besuchen Anfang der Woche gemeinsam Europa. Es ist ihre erste gemeinsame Reise auf den Kontinent seit über sechs Monaten und signalisiert die Dringlichkeit der Lage. Der Besuch fällt mit einer grundlegenden Neuausrichtung der europäischen Expansionsstrategie zusammen.
Nio verfolgt nun einen zweigleisigen Ansatz. In den etablierten Märkten – Norwegen, Deutschland, die Niederlande und Schweden – bleibt das Unternehmen beim bisherigen Modell des Direktvertriebs über die bekannten „Nio Houses“. Für alle seit Juni angekündigten neuen Märkte wird jedoch eine andere Strategie verfolgt.
Vom Direktvertrieb zum Händlermodell
Das ursprüngliche Konzept von Nio basierte auf großen, repräsentativen Showrooms in Premiumlagen, den sogenannten Nio Houses. Dieses Modell ist jedoch sehr kapitalintensiv, da es den Aufbau lokaler Teams und hohe Mietkosten erfordert. Angesichts des zunehmenden Wettbewerbs und des hohen finanziellen Aufwands erweist sich diese Strategie als nicht nachhaltig für eine schnelle Expansion.
Kosten sparen durch Partnerschaften
In allen neuen europäischen Ländern wird Nio künftig mit lokalen Vertriebspartnern zusammenarbeiten. Diese Händler übernehmen den Verkauf, den Service und das Marketing. Dieser Schritt entlastet Nio erheblich von den finanziellen Verpflichtungen, die mit dem Aufbau einer eigenen Infrastruktur verbunden sind.
Durch die Auslagerung dieser Aufgaben an Dritte kann das Unternehmen seine Ressourcen schonen. Dänemark, wo Nio bisher kein eigenes Vertriebsnetz aufgebaut hat, wird ebenfalls auf das Händlermodell umgestellt. Damit schließt sich Nio anderen chinesischen Herstellern an, die bei ihrem Eintritt in den europäischen Markt von Anfang an auf etablierte Händlernetze setzen.
Enttäuschende Verkaufszahlen in Norwegen
Ein zentraler Anlass für die Reise der Unternehmensführung ist die unbefriedigende Geschäftsentwicklung. Besonders in Norwegen, dem ersten europäischen Markt für Nio seit 2021, bleiben die Zahlen deutlich hinter den Erwartungen zurück.
Ein Treffen im Nio House in Oslo ist geplant, das vor genau vier Jahren als erster europäischer Showroom eröffnet wurde. Die Symbolik des Ortes unterstreicht die Herausforderungen, mit denen das Unternehmen konfrontiert ist.
Norwegen: Zahlen im Detail
Im September 2025 erreichte Nio mit 60 verkauften Premium-Elektrofahrzeugen einen Höchststand für das laufende Jahr. Die neu eingeführte, günstigere Untermarke Firefly trug im ersten vollen Verkaufsmonat lediglich drei Fahrzeuge bei. Insgesamt wurden im September 63 Fahrzeuge registriert.
Jahresziel in weiter Ferne
Die Gesamtbilanz für die ersten neun Monate des Jahres 2025 in Norwegen beläuft sich auf 297 verkaufte Einheiten. Diese Zahl steht im starken Kontrast zu dem zu Jahresbeginn ausgegebenen Ziel von 1.500 Fahrzeugen.
Um dieses Ziel noch zu erreichen, müsste Nio im vierten Quartal rund 1.200 Fahrzeuge ausliefern. Das würde eine fast zwanzigfache Steigerung der monatlichen Verkaufsrate erfordern – ein äußerst unwahrscheinliches Szenario. Die Verkaufszahlen für Oktober werden Anfang November erwartet und dürften weitere Einblicke in die aktuelle Lage geben.
Die Rolle der neuen Untermarke Firefly
Mit der Einführung der Marke Firefly versucht Nio, ein preissensibleres Kundensegment anzusprechen. Die Fahrzeuge sind als erschwingliche Stadtautos mit einem Preis von unter 30.000 US-Dollar positioniert. Der Start in Norwegen verlief jedoch verhalten.
Der Erfolg von Firefly wird entscheidend dafür sein, ob Nio in Europa eine breitere Käuferschicht erreichen kann. Die geringen Stückzahlen im ersten Monat deuten jedoch darauf hin, dass auch hier ein langer Weg vor dem Unternehmen liegt.
Ein Blick in die Zukunft
Der Besuch der Nio-Führungskräfte ist mehr als nur eine Routine-Inspektion. Es ist ein klares Zeichen dafür, dass das Unternehmen seine europäische Strategie grundlegend überdenken muss. Der Wechsel zum Händlermodell in neuen Märkten ist ein pragmatischer Schritt, um Kosten zu senken und die Expansion zu beschleunigen.
Die Herausforderung besteht nun darin, das Vertrauen der Märkte zurückzugewinnen und die Verkaufszahlen signifikant zu steigern. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die neue zweigleisige Strategie Nio dabei helfen kann, auf dem hart umkämpften europäischen Automobilmarkt Fuß zu fassen.




