Die kanadische Regierung unter Premierminister Mark Carney sieht sich zunehmendem Druck ausgesetzt, ihre Vorschriften für den Verkauf von Elektrofahrzeugen zu überarbeiten. Während Automobilhersteller die vollständige Abschaffung der Quote fordern, drängt die E-Mobilitätsbranche auf Anpassungen. Grund für die Debatte ist ein deutlicher Rückgang der Verkaufszahlen von Elektroautos im Land.
Die Verkaufsquote für emissionsfreie Fahrzeuge (ZEVs) wurde im September für ein Jahr ausgesetzt, um eine 60-tägige Überprüfung durchzuführen. Diese Entscheidung erfolgte, nachdem der Marktanteil von Elektrofahrzeugen von durchschnittlich 13,7 Prozent im Jahr 2024 auf nur noch 7,7 Prozent im Juli gefallen war.
Wichtige Fakten
- Die kanadische Regierung hat ihre E-Auto-Verkaufsquote für ein Jahr ausgesetzt und überprüft sie derzeit.
- Der Marktanteil von E-Autos in Kanada fiel von 13,7 % im Jahr 2024 auf einen Tiefststand von 7,7 % im Juli.
- Automobilhersteller fordern die Abschaffung der Quote, während die E-Mobilitätsbranche für moderate Anpassungen plädiert.
- Die ursprüngliche Regelung sieht vor, dass bis 2026 20 %, bis 2030 60 % und bis 2035 100 % der Neuwagen emissionsfrei sein müssen.
Gegensätzliche Forderungen von Industrie und Herstellern
Die Debatte um die Zukunft der kanadischen E-Mobilitätsstrategie wird von zwei gegensätzlichen Lagern geführt. Auf der einen Seite steht die Canadian Vehicle Manufacturers’ Association (CVMA), die Lobbygruppe der drei großen US-Autohersteller Ford, General Motors und Stellantis. Sie hat eine Kampagne gestartet, um die Regierung zur vollständigen Rücknahme der Regelung zu bewegen.
Auf der anderen Seite haben 40 Führungskräfte aus der E-Mobilitätsbranche einen offenen Brief an Premierminister Carney unterzeichnet. Sie fordern, den Kurs beizubehalten, aber „vernünftige Anpassungen“ an den Verkaufszielen vorzunehmen.
Automobilhersteller kritisieren „unerreichbare Ziele“
Die CVMA argumentiert, dass die Verkaufsquote unrealistisch sei, solange die grundlegenden Hindernisse für Verbraucher nicht beseitigt werden. In ihrer Petition heißt es: „Die Verordnung fordert unmögliche Verkaufsziele für Elektrofahrzeuge, ohne zuvor die wesentlichen Barrieren für die Akzeptanz durch die Verbraucher anzugehen.“ Zu diesen Barrieren zählen hohe Anschaffungskosten und eine unzureichende Ladeinfrastruktur.
Brian Kingston, der Geschäftsführer der CVMA, kritisiert die Vorschrift zudem als technologisch einseitig. Er verweist auf neue Hybridmodelle, bei denen ein kleiner Benzinmotor als Generator dient, um die Batterie aufzuladen und die Reichweite zu erhöhen. Solche Fahrzeuge würden bei den Verbrauchern immer beliebter, erhalten aber unter der aktuellen Regelung weniger Anrechnungspunkte als rein batterieelektrische Fahrzeuge.
„Wir wissen einfach nicht, welche Technologie sich durchsetzen wird“, so Kingston. „Wenn man technologiespezifische Vorschriften erlässt, gerät man in Schwierigkeiten, weil man die Nachfrage der Verbraucher nicht vorhersagen kann.“
Die E-Mobilitätsbranche fordert Stabilität und Anreize
Die Vertreter der E-Mobilitätsbranche, darunter Betreiber von Ladenetzwerken und Technologieunternehmen, warnen vor einer vollständigen Abkehr von der Politik. In ihrem offenen Brief an die Regierung betonen sie: „Wir verstehen, dass sich politische Maßnahmen mit den sich ändernden Realitäten weiterentwickeln müssen. Aber Entwicklung bedeutet nicht Rückzug.“
Die umstrittene Verkaufsquote
Die offiziell als „Electric Vehicle Availability Standard“ bekannte Regelung wurde eingeführt, um sicherzustellen, dass genügend Elektrofahrzeuge auf dem kanadischen Markt verfügbar sind. Die schrittweise Anhebung der Quote sollte den Übergang zur Elektromobilität beschleunigen und die Klimaziele des Landes unterstützen.
- Ziel 2026: 20 % aller Neuwagenverkäufe
- Ziel 2030: 60 % aller Neuwagenverkäufe
- Ziel 2035: 100 % aller Neuwagenverkäufe
Sie fordern „vernünftige“ und „faktenbasierte politische Anpassungen“ anstelle einer kompletten Abschaffung. Ein zentraler Punkt ihrer Forderung ist die Wiedereinführung der staatlichen Kaufprämie für Elektroautos. Das Förderprogramm, das Käufern einen Nachlass von mehreren Tausend Dollar gewährte, wurde im Januar abrupt beendet, nachdem die Mittel erschöpft waren. Viele Experten sehen darin einen Hauptgrund für den jüngsten Einbruch der Verkaufszahlen.
Ein pragmatischer Mittelweg wird vorgeschlagen
Auch innerhalb der Befürworter von Elektromobilität gibt es Stimmen, die die ursprünglichen Ziele für zu ehrgeizig halten. Daniel Breton, Geschäftsführer von Electric Mobility Canada, einer gemeinnützigen Organisation zur Förderung der Elektromobilität, schlägt einen pragmatischeren Ansatz vor.
Seine Organisation hat der Umweltministerin Julie Debrusin empfohlen, die kurzfristigen Ziele zu senken und das 100-Prozent-Ziel für 2035 aufzugeben. „Wir haben gesagt: ‚Wissen Sie was? Angesichts der verrückten Entwicklungen südlich der Grenze empfehlen wir, die kurzfristigen Ziele zu senken und nicht bis 2035 auf 100 Prozent zu gehen‘“, erklärte Breton.
Verkaufszahlen im Sinkflug
Der Marktanteil von Elektrofahrzeugen in Kanada ist nach sechs aufeinanderfolgenden Monaten rückläufig. Während er im gesamten Jahr 2024 durchschnittlich bei 13,7 % lag, erreichte er im Juli einen Tiefpunkt von nur noch 7,7 %. Dieser Rückgang fiel mit dem Auslaufen nationaler und regionaler Kaufprämien zusammen.
Breton hält ein Ziel von 90 Prozent bis 2035 für realistischer. Dies würde den politischen Druck verringern, da ein 100-Prozent-Ziel oft als Verbot von Neuwagen mit Verbrennungsmotor wahrgenommen und politisch instrumentalisiert wird. „Wir sind pragmatisch“, sagte er. „Wir sagen, wenn wir die Ziele senken, sollten wir sie dennoch ehrgeizig genug halten, damit weiterhin Druck auf die Autohersteller ausgeübt wird, mehr Elektroautos zu verkaufen.“
Die Position der Regierung
Ein Sprecher des Umweltministeriums (ECCC) äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht zu den Forderungen. Jedoch gibt ein internes Memo vom September Einblick in die Argumentationslinie der Regierung zur Verteidigung der Politik. Das Dokument wurde nach der Aussetzung der Quote durch Premierminister Carney veröffentlicht.
In dem Memo werden verbindliche Verkaufsquoten als „beliebtes und wirksames Instrument“ bezeichnet, das weltweit eingesetzt wird, um ein ausreichendes Angebot an Elektrofahrzeugen sicherzustellen. Es wird auch darauf hingewiesen, dass die Regelung kein Verbot von „Benzinautos“ darstelle, da diese weiterhin auf dem Gebrauchtwagenmarkt verfügbar sein werden und Plug-in-Hybride erlaubt bleiben.
Das Memo betont, dass die weltweiten Verkaufszahlen von E-Autos weiter steigen, geht aber nicht auf den spezifischen Rückgang in Kanada ein. Abschließend heißt es in dem Dokument: „Die größte einzelne Bedrohung für den kanadischen Automobilsektor sind amerikanische Zölle, nicht Elektrofahrzeuge.“




