Der schnelle Wandel zur Elektromobilität in China hat eine ernste Kehrseite: Tausende traditionelle Autohäuser müssen schließen. Ein intensiver Preiskampf, Überkapazitäten und neue Vertriebsmodelle setzen das etablierte Händlernetz massiv unter Druck und führen zu einer der größten Krisen der Branche seit Jahrzehnten.
Wichtige Erkenntnisse
- Seit 2020 wurden in China mehr als 8.000 Autohäuser geschlossen, Tausende weitere sind gefährdet.
- Ein aggressiver Preiskampf, angeführt von Marken wie BYD und Geely, zwingt Händler, Fahrzeuge unter dem Einkaufspreis zu verkaufen.
- Neue Vertriebsmodelle wie der Direktvertrieb von Tesla, NIO und XPeng umgehen das traditionelle Händlernetz vollständig.
- Die Krise in China gilt als Warnsignal für die globalen Automobilmärkte, die vor ähnlichen Umbrüchen stehen.
Ein Markt im Umbruch
Chinas Automobilmarkt befindet sich in einem radikalen Wandel. Während das Land weltweit führend in der Produktion und dem Verkauf von Elektrofahrzeugen ist, bricht die Infrastruktur, die den Verbrennermarkt jahrzehntelang getragen hat, zusammen. Im Zentrum dieser Entwicklung stehen die sogenannten 4S-Autohäuser, die Verkauf, Service, Ersatzteile und Kundenbefragungen (Sales, Service, Spare Parts, Surveys) unter einem Dach vereinen.
Diese traditionellen Betriebe kämpfen ums Überleben. Branchenanalysten schätzen, dass seit dem Jahr 2020 bereits über 8.000 Standorte ihre Türen schließen mussten. Prognosen zufolge könnten in den kommenden Monaten und Jahren noch Tausende weitere folgen. Der Grund ist eine Kombination aus mehreren Faktoren, die das Geschäftsmodell der Händler im Kern angreifen.
Das traditionelle 4S-Modell
Das 4S-Modell war lange Zeit der Standard im chinesischen Automobilvertrieb. Es bot den Kunden einen umfassenden Service aus einer Hand und sicherte den Händlern Einnahmen nicht nur durch den Fahrzeugverkauf, sondern vor allem durch den lukrativen After-Sales-Bereich wie Wartung und Reparaturen.
Preiskriege und Überproduktion verschärfen die Lage
Ein Hauptgrund für die Krise ist die enorme Überkapazität auf dem Markt. Fast 200 heimische Hersteller konkurrieren um die Gunst der Käufer, was zu einem Überangebot an Fahrzeugen führt. Um Marktanteile zu sichern, haben große Marken wie BYD und Geely aggressive Preissenkungen eingeleitet.
Dieser Preiskampf hat die Gewinnmargen für Neuwagen praktisch eliminiert. Viele kleinere Händler sind gezwungen, Fahrzeuge unter dem Einkaufspreis zu verkaufen, nur um die von den Herstellern vorgegebenen Verkaufsquoten zu erfüllen und ihre Lizenz nicht zu verlieren. Gleichzeitig steigen die Kosten für die Lagerhaltung der unverkauften Fahrzeuge, was die finanzielle Belastung weiter erhöht.
Ein ruinöser Wettbewerb
Die aggressive Preispolitik hat dazu geführt, dass der Verkauf von Neuwagen für viele Händler zu einem Verlustgeschäft geworden ist. Die Einnahmen aus dem After-Sales-Service, die traditionell die Gewinne sicherten, gehen ebenfalls zurück, da Elektrofahrzeuge deutlich weniger Wartung benötigen als Verbrenner.
Der Vormarsch des Direktvertriebs
Eine weitere existenzielle Bedrohung für das klassische Autohaus ist der Aufstieg des Direktvertriebs. Unternehmen wie Tesla, NIO und XPeng haben von Anfang an auf ein eigenes Vertriebsnetz gesetzt. Sie betreiben schicke Ausstellungsräume in Einkaufszentren und verkaufen ihre Fahrzeuge direkt an die Endkunden, oft über Online-Plattformen.
Dieses Modell hat mehrere Vorteile für die Hersteller: Sie kontrollieren die Preise zentral, haben den direkten Kontakt zum Kunden und sparen sich die Händlermargen. Für die traditionellen Autohäuser bedeutet dies jedoch, dass sie aus der Wertschöpfungskette herausgeschnitten werden.
Auch etablierte Hersteller passen sich an
Sogar etablierte globale Automobilhersteller beginnen, Aspekte des Direktvertriebs in China zu übernehmen. Sie setzen verstärkt auf Online-Marketing und digitale Verkaufskanäle, um Kunden direkt anzusprechen. Dies reduziert die Rolle des Händlers auf die reine Auslieferung und den Service, was die Einnahmemöglichkeiten weiter schmälert.
„Das traditionelle Händlermodell, das auf der Ökonomie der Verbrenner-Ära aufbaut, ist nicht mit einem EV-Ökosystem vereinbar, das von Direktvertrieb und Softwarediensten geprägt ist“, warnen Branchenexperten.
Ein Warnsignal für den globalen Markt
Die Entwicklungen in China sind mehr als nur ein regionales Problem. Sie gelten als Vorbote für einen Wandel, der auch die Automobilmärkte in Europa und Nordamerika erfassen wird. Der Übergang zur Elektromobilität verändert nicht nur die Fahrzeuge selbst, sondern das gesamte Geschäftsmodell des Autoverkaufs.
Händler weltweit stehen vor der Herausforderung, sich neu zu erfinden. Mögliche Zukunftsfelder sind:
- Aufbau von Ladeinfrastruktur: Autohäuser könnten zu lokalen Energie- und Lade-Hubs werden.
- Spezialisierung auf gebrauchte E-Fahrzeuge: Der Markt für gebrauchte Elektroautos wächst und erfordert spezielles Know-how.
- Digitale Serviceangebote: Mobile Wartungsdienste und softwarebasierte Dienstleistungen könnten neue Einnahmequellen erschließen.
Die chinesische Regierung hat zwar Maßnahmen zur Stabilisierung des Sektors angedeutet, doch Analysten sind sich einig, dass eine Konsolidierung unvermeidlich ist. Für Händler, die sich nicht anpassen können, wird die Zukunft düster aussehen. Der technologische Fortschritt des chinesischen E-Auto-Booms hat eine disruptive Kraft entfaltet, die eine jahrzehntealte Branche grundlegend neu formt.




